Geschichte

Universität Wien - Ältestes Siegel der Juridischen Fakultät (zwischen 1450 und 1500)

Calendarium Academicum Universitatis Viennensis - Universitätskalender, 1693: Der Heilige Ivo, Patron der Juridischen Fakultät

Von den Anfängen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts

Mit ihrer mehr als sechshundertjährigen Geschichte blicken die Juristen auf eine der längsten Traditionen an der Universität Wien zurück. Der Fächerkanon ihrer Fakultät, der zunächst auf das kanonische und das römische Recht beschränkt war, wurde ab dem 18. Jahrhundert beständig vermehrt, und zwar nicht nur um juristische, sondern auch um nichtjuristische Disziplinen, wie vor allem Ökonomie und Statistik, sodass die Fakultät ab 1848 als „rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät“ bezeichnet wurde.

Ein Studium der „Iura Canonica et civilia“, also des kirchlichen und des bürgerlichen Rechts, wurde bereits im Stiftbrief Rudolphs IV. vom 12. März 1365 verheißen, doch konnte sich ein geregelter Studienbetrieb nicht vor 1402 etablieren und blieb noch durch fast ein Jahrhundert auf das Kirchenrecht beschränkt; erst 1494 gelang mit der Berufung von Hieronymus Balbi aus Venedig auch die Etablierung des Studiums des Zivilrechtes. Dieses wurde, wie an den europäischen Universitäten jener Zeit üblich, anhand des Corpus Iuris Civilis vorgetragen, einer Sammlung von Texten des klassischen römischen Rechts, die um 533 n.Chr. im Auftrag von Kaiser Justinian I. erstellt worden war. Das heimische, vielfach noch nicht aufgezeichnete Recht, das von den Gerichten gehandhabt wurde, war demgegenüber noch bis ins 17. Jahrhundert nicht Gegenstand des akademischen Unterrichts und fand auch danach nur insofern Berücksichtigung, indem einzelne Institutionen des heimischen Rechts allmählich in die dogmatische Behandlung der „Gelehrten Rechte“ integriert wurden, woraus das sog. Ius Romano-Germanicum entstand.

Eine völlige Reorganisation der juridischen Fakultät erfolgte 1753 durch Maria Theresia, die die Fakultät mit fünf Lehrstühlen ausstattete und den Fächerkanon wesentlich erweiterte; insbesondere hielt damals in der Person des Karl Anton von Martini das Naturrecht seinen Einzug in die Fakultät. Martinis Nachfolger, Franz von Zeiller, entwarf den neuen Studienplan von 1810, mit dem das Naturrecht als Einführung in das Rechtsstudium breit verankert wurde. In jener Zeit kamen auch die unter Maria Theresia begonnenen Arbeiten an einer Kodifikation des österreichischen Strafrechts und bürgerlichen Rechts zum Abschluss, sodass die Vorlesungen nun unmittelbar anhand des Strafgesetzbuches und des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches vorgetragen werden konnten.

1810 war auch erstmals die „Statistik“ als Prüfungsfach vorgesehen; sie hatte zu jener Zeit v.a. eine Beschreibung des Zustandes der österreichischen Monarchie zum Gegenstand, verband also Lehrinhalte, die heute wohl eher der Geographie, der Ethnologie oder der Zeitgeschichte zuzuordnen wären. Vor allem wurden hier aber auch Grundzüge der politischen Ordnung (von einem „Verfassungsrecht“ kann in der Ära des Absolutismus nur schwer gesprochen werden) gelehrt. Erst allmählich, als mittelbare Folge der Etablierung der modernen Verfassungslehre durch Moriz von Stubenrauch ab 1850, wandelte sich das Fach Statistik, das seiner alten Inhalte entkleidet wurde. Neben die bisherige deskriptive trat die schließende Statistik, die stärker mathematisch orientiert war und für die Entwicklung der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften von hoher Bedeutung wurde. Diese moderne Statistik war es dann auch, die immer stärker auf den Einsatz von elektronischen Rechenmaschinen setzte, sodass sie zur Wiege der heutigen Fakultät für Informatik wurde.

Das Studium der Rechtswissenschaften erfuhr eine neue, besonders folgenschwere Neuorientierung im Gefolge der Universitätsreform des Ministers Leo Graf Thun-Hohenstein. Mit dem Studienplan von 1855 wurde das Naturrecht, dem zumindest indirekt eine Mitschuld am Ausbruch der (gescheiterten) Revolution von 1848 gegeben wurde, weitgehend zurückgedrängt. An seiner Stelle dominierten die rechtshistorischen Fächer – Römisches Recht, Deutsche Rechtsgeschichte und Deutsches Privatrecht – den ersten Studienabschnitt. Die Hoffnungen des Ministers, damit wieder den Anschluss an die deutsche Rechtswissenschaft zu finden sowie vor allem die Jusstudenten zu patriotisch-konservativen Staatsbürgern zu „erziehen“, ging nicht auf, und in allen nachfolgenden Reformen wurde die Bedeutung der rechtshistorischen Fächer deutlich zurückgedrängt. Während aber das Kirchenrecht als Pflichtfach 1978 aus dem Studienplan verschwand, konnten das Römische Recht und die Rechtsgeschichte – inhaltlich deutlich modernisiert und umfangmäßig um etwa 80 % gekürzt – ihre Stellung am Beginn des Rechtsstudiums aufgrund ihrer didaktisch wertvollen Funktion als Propädeutikum des geltenden Rechts bis in die Gegenwart behaupten.

Auf die Thun‘sche Universitätsreform geht schließlich auch die Berufung von Joseph Unger auf einen zivilrechtlichen Lehrstuhl der Universität Wien im Jahre 1856 zurück. Unger wurde zum bedeutendsten Vertreter der sog. Pandektistik in Österreich, einer in Deutschland vorherrschenden wissenschaftlichen Strömung, die sich verstärkt dem Studium der römischen Pandekten zur Lösung von Problemen des geltenden Rechts zuwandte. Hauptergebnis der Pandektistik sind die sogenannten Teilnovellen zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch der Jahre 1914, 1915 und 1916, mit der die österreichische Zivilrechtskodifikation modernisiert und teilweise auch an das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch von 1896 angeglichen wurde.

Die Pandektistik fand in Österreich aufgrund ihrer angeblichen Weltfremdheit („Begriffsjurisprudenz“) und mangelnden Berücksichtigung sozialer Verhältnisse vielfache Kritik, so insbesondere durch den Zivilprozessualisten Anton Menger, der das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch als Gesetzbuch einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung scharf kritisierte. Mengers Schüler Franz Klein wurde zum Schöpfer der österreichischen Zivilprozessordnung, eines international viel gerühmten Gesetzes, das insbesondere dem Richter eine aktive Rolle beim Prozess gibt. Zu den Kritikern der Begriffsjurisprudenz zählte ferner auch Rudolf Jhering, der mit seinem Vortrag vor der Wiener Juristischen Gesellschaft „Der Kampf ums Recht“ vom 11. März 1872 – dessen Schriftfassung unzählige Male nachgedruckt und in 26 Sprachen übersetzt wurde – die Grundlagen für die heute in der Zivilrechtswissenschaft vorherrschende Wertungsjurisprudenz legte.

Universität Wien (Hauptgebäude): Kriegsschäden Juristentrakt, Brand vom 21.02.1945

Die Juristenstiege und das Dekanat der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät wurden durch Bombentreffer besonders stark beschädigt. Dem lebensgroßen Standbild Kaiser Franz Josephs I. - ein Werk des bekannten Bildhauers Casper von Zumbusch - fehlte der Kopf.

Das 20. und 21. Jahrhundert

Mehr als jede andere Einrichtung der Universität Wien war die rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät von den politischen Umbrüchen des 20. Jahrhunderts betroffen; mehr als die Hälfte ihrer Professoren wurden 1938 in den Ruhestand versetzt, zwei kamen im KZ Theresienstadt ums Leben. Nach Wiederrichtung der Republik Österreich 1945 blieb die Fakultät noch dreißig Jahre lang bestehen, bis sie 1975 in kleinere Einheiten aufgeteilt wurde. Heute stehen die Rechtswissenschaftliche Fakultät sowie die Fakultäten für Wirtschaftswissenschaften und für Informatik in der Tradition der alten rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät.

Mit der Studienordnung von 1893 wurden die beiden öffentlich-rechtlichen Fächer Verfassungs- und das Verwaltungsrecht Pflichtgegenstände des juristischen Studiums und nahmen seitdem einen großen Aufschwung. Ihrer stärkeren Verankerung im Studienplan standen aber noch lange große Vorbehalte entgegen, sodass die Idee entwickelt wurde, neben dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften ein besonderes Studium der Staatswissenschaften einzuführen. Dies erfolgte 1919, zeitgleich mit der Zulassung von Frauen zum Rechtsstudium. Das neue Studium war weniger auf die Bedürfnisse der österreichischen Justiz zugeschnitten, betonte dagegen das Öffentliche Recht und auch die wirtschaftswissenschaftlichen Fächer mehr. Es konnte bis 1966 studiert werden, als an seiner Stelle die Studien der Volkswirtschaftslehre und der Soziologie an der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät etabliert wurden.

Der bedeutendste Staatsrechtler aus der Zeit der Ersten Republik war Hans Kelsen, der einer breiten Öffentlichkeit vor allem durch seine Mitwirkung an der österreichischen Bundesverfassung von 1920 bekannt ist. An der Wiener rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät gründete er die „Wiener rechtstheoretische Schule“, zu deren bedeutendsten Schülern der Staatsrechtler Adolf Julius Merkl sowie der Völkerrechtler Alfred Verdroß zählen. Diese Schule wird auch als „Reine Rechtslehre“ bezeichnet, zumal es eines ihrer Hauptanliegen ist, wissenschaftliche Aussagen über das Recht sowohl von Aussagen über tatsächliche (soziologische) Verhältnisse als auch von politischen Forderungen an das Recht zu trennen. Nicht zuletzt aufgrund antisemitischer Anfeindungen an der Fakultät verließ Kelsen jedoch schon 1930 Wien, worauf seine Schule allmählich zerfiel.

Die wissenschaftliche Positionierung der Reinen Rechtslehre erklärt sich aus dem Bestreben vieler anderer Juristen jener Zeit, nicht nur das angeblich realitätsferne Recht, sondern auch das „wirkliche Leben“ untersuchen zu wollen. Große Bedeutung hatte diese Strömung vor allem für die Strafrechtswissenschaft, die sich um eine Vernetzung mit anderen Kriminalwissenschaften (Kriminologie, Kriminalistik) bemühte. 1923 wurde auf Betreiben von Wenzel Gleispach ein „Institut für die gesamte Strafrechtswissenschaft und Kriminalistik“ gegründet, welches bis 2006 – unter wechselnden Bezeichnungen – in der Liebiggasse beheimatet war.

Die von Carl Menger (dem älteren Bruder des Zivilprozessualisten Anton Menger) begründete Österreichische Schule der Nationalökonomie, auch „Grenznutzenschule“ bezeichnet wegen ihres mikroökonomischen Ansatzes, fand weltweite Beachtung und hatte an der Universität Wien in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ihren Höhepunkt, als Eugen Böhm von Bawerk hier lehrte. Der bedeutendste Vertreter der Österreichischen Schule in der Zwischenkriegszeit, Ludwig (von) Mises, erlangte in Österreich jedoch bis zu seiner Emigration 1934 niemals einen Lehrstuhl. Vielmehr war 1919 mit der Berufung von Othmar Spann als Professor für Nationalökonomie und Gesellschaftslehre ein erklärter Gegner der Österreichischen Schule an die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät gekommen. Bedeutung hatten aber weniger Spanns ökonomische als seine soziologischen Theorien, die zum Nährboden (austro-)faschistischer Ideologien wurden. Nichtsdestoweniger verlor auch Spann im Jahre 1938 seinen Lehrstuhl und wurde im KZ Dachau interniert.

Schon aus dem bisher Gesagten wird deutlich, dass die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät sehr stark in die politischen Kämpfe der Zwischenkriegszeit involviert war. Im Gefolge des Staatsstreiches 1933 verfassten mehrere Fakultätsmitglieder kritische Aufsätze für eine reichsdeutsche Zeitschrift. Für drei von ihnen – Wenzel Gleispach, Max Layer und Karl Hugelmann – hatte dies unmittelbar oder mittelbar ihre Versetzung in den Ruhestand zur Folge. Einen weitaus größeren personellen Einschnitt brachte jedoch die NS-Zeit mit sich, als mehr als die Hälfte der Professoren und Dozenten ihren Lehrstuhl in den Ruhestand versetzt wurden bzw. ihre Lehrbefugnis verloren. Viele von ihnen emigrierten, viele wurden verhaftet. Der Römischrechtler Stephan Brassloff und der Handelsrechtler Josef Hupka kamen 1943 bzw. 1944 im KZ Theresienstadt ums Leben.

Das Studium der Rechtswissenschaften hatte 1935 eine größere Reform erfahren, wobei auch die Ideologie des Ständestaates (z.B. in den Vorlesungen aus christlicher Rechtsphilosophie) zu erkennen war. Die 1939 an den österreichischen Rechtsfakultäten eingeführte Studienordnung brachte eine völlige Umwälzung des tradierten Fächerkanons; der Stoff sollte nicht mehr nach „abstrakten“ Disziplinen, sondern nach „Lebenssachverhalten“ („Volk“, „Stände“, „Staat“) gegliedert werden. 1945 wurde die Studienordnung 1935 mit gewissen Änderungen wieder in Geltung gesetzt und blieb in dieser Form bis 1981 gültig.

Von den in der NS-Zeit vertriebenen Professoren kehrte nur ein kleiner Teil, wie insbesondere Adolf J. Merkl, Ludwig Adamovich oder Willibald Maria Plöchl, zurück an die Fakultät, und ebenso wurde nur ein kleiner Teil der in der NS-Zeit lehrenden Professoren (etwa der 1938–1945 amtierende Dekan Ernst Schönbauer) nach 1945 auf Dauer von der Universität entfernt.

Die Reine Rechtslehre, die mit der Emeritierung von Merkl und Verdroß 1960 auszusterben drohte, wurde von Merkls Schüler Robert Walter zu neuer Blüte geführt. Sein Antipode in wissenschaftlicher Hinsicht war v.a. der Zivilrechtler Franz Bydlinski; er vertrat die sog. Wertungsjurisprudenz, welche im Gegensatz zur Reinen Rechtslehre der Auffassung ist, dass oberste Werte, wie v.a. die Gerechtigkeit, mit rationalen Mitteln erkannt werden können. Beide gründeten Schulen, die bis heute an der Fakultät fortwirken.

1975 erfolgte die Teilung der Fakultät in eine rechtswissenschaftliche und in eine sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Fakultät. Letztere wurde in den Jahren 2000 und 2004 in immer kleinere Einheiten aufgeteilt, heute gehen insbesondere die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und die Fakultät für Informatik auf sie zurück. Das Studium der Rechtswissenschaften wurde 1978 grundlegend reformiert und insbesondere in ein Diplomstudium und ein darauf aufbauendes Doktoratsstudium gegliedert. Ersteres sollte die Berufsbefähigung insbesondere für die „klassischen“ Juristenberufe (Richter, Rechtsanwalt, Notar, Verwaltungsbeamter) darstellen, während das Doktoratsstudium stärker wissenschaftlich orientiert war und nun u.a. wieder eine Dissertation erforderte. Kleinere Reformen erfolgten insbesondere 1999 und 2006; die Einführung eines dreigliedrigen Studiums im Sinne des sog. Bologna-Prozesses wurden sowohl von der Fakultät als auch von den Vertretern der Juristenberufe abgelehnt.

Thomas Olechowski